Photon: Also als Einstiegsfrage: Du betreibst Internetforschung mit Schwerpunkt auf virtuellen Gemeinschaften. Kannst du uns kurz näher bringen, was du da genau machst und wie deine Arbeit aussieht.
Jana: Im Großen und Ganzen schaue ich mir an, welche verschiedenen Kommunikationsarten sich im Internet herausgebildet haben. D.h. mit welchem Ziel werden Gemeinschaften im Web begonnen, wie bilden sich Regeln heraus, die später die ganze Gemeinschaft rahmen und wie gehen sie wieder auseinander.
Meine Arbeit gestaltet sich sehr unterschiedlich, mal komme ich nur im Schneckentempo vorwärts und manchmal rasen die Erkenntnisse im Galopp an mir vorbei, so dass ich schon Angst bekomme, noch mithalten zu können.
Mein Computer ist dabei das wichtigste Werkzeug, er begleitet mich zu Hause und auf Tagungen, bzw. Barcamps. (so was wie Workshops)
Photon: Dabei sind gerade auch die Flotten sicher ein für dich interessantes Forschungsobjekt.
Jana: Was gerade mit der ÖSF und DeSF uns anderen Flotten passiert, finde ich hoch interessant. Dennoch sind Communitys nur ein kleiner Spielort, den ich beobachte. Viel interessanter finde ich gerade offene Netzwerke, weil die Hierarchien dort sehr flach sind und dadurch ganz andere Kommunikationsdynamiken entstehen.
In der ÖSF bspw. finde ich es deswegen interessant, weil das einzelne Mitglied hier vor einer viel größeren Barriere steht, diese Community mitzugestalten. Aber meistens müssen sie sich auch einfach nur trauen ;)
Photon: Und welche Auswirkungen haben dann diese größeren Barrieren auf eine Gemeinschaft? Und um sicher zu gehen, du meinst mit Barrieren sicher die Personen, die ihre Zuständigkeit recht rigide verteidigen.
Jana: Die Personen füllen ein Amt. Mit Barrieren meine ich in erster Linie Hierarchien, die ganz offen kommuniziert werden und die dazu da sind, so glaube ich, um andere einzuschüchtern.
Sie sagen deutlich: "Willst Du bei uns was werden, musst Du Dich erstmal anpassen!" Die Personen in den Ämtern tun nur ihre Aufgabe um das mal etwas provokativ zu sagen.
Wären keine Barrieren vorhanden, müsste man mit jedem Mitglied das Zusammenspiel neu aushandeln, denke ich.
Photon: Was dann wohl eine Organisation zum Erliegen bringen könnte. Was mich auf etwas anderes bringt. Flotten wie DeSF und ÖSF haben ja schon beide knapp 10 Jahre auf dem Buckel. Denkst du Internet-Communities können so lange bestehen wie reale Gruppierungen oder dürfte die Lebensdauer geringer sein?
Jana: Dass eine Organisation zum Erliegen kommt, wenn es keine Hierarchien gibt, verstehe ich mal als Unterstellung ;). Natürlich bedarf es immer einen Macher oder sogar mehrere.
Im Idealfall lassen sich Communitys im Internet von der Lebensdauer realer Communitys nicht unterscheiden. Der Unterschied ist wohl nur, das ist bisher noch eine Vermutung ;), dass Communitys im Netz sehr viel schnell lebiger sind und dadurch auch sehr schnell altern können. Dennoch kann das Lebensalter dasselbe sein.
Photon: Die Menschen verbringen ja immer mehr Zeit in Internetcommunities. Was denkst du zu der These die wir alle wohl schon gehört haben, dass man hierdurch letztendlich zu einem Mangel an sozialen Kontakten gelangt.
Achso.. hierzu dann vielleicht auch die Aussage, dass das keine "richtigen" Kontakte sind.
Jana: Ich bin Anhänger der Gegenthese. Die virtuelle Welt und die reale Welt sind nicht so trennscharf voneinander zu unterscheiden. Ich kann im Rollenspiel nur glaubhaft beschreiben, dass sich mein Char an einer heißen Tasse Tee verbrennt, wenn ich auf Erfahrungen zurückgreife.
Und wo mache ich die, im real life. Andersherum kann ich meinen Chara hier Erfahrungen sammeln lassen, mit denen ich meine reale Welt anreichere oder bewusster wahrnehme.
Was noch viel wertvoller ist, ist, dass jeder hier in so einem Rollenspiel lernt, wie er sich in eine Gemeinschaft positiv und konstruktiv einbringt. In meiner Arbeit nennen wir das Kommunikations- und Partizipationskompetenz. Das sind zwei wichtige Eigenschaften, die der Mensch in den nächsten Jahren noch braucht.
Photon: Das klingt als würdest du die Communities wie kleine virtuelle Gesellschaften sehen. Gibt es da neben dem erwähnten Lernfaktor auch noch weitere Zusammenhänge?
Jana: Virtuelle Gemeinschaften (kurzum Communitys genannt) entwickeln im Moment die selben Tendenzen, wie reale Gemeinschaften. Das sieht man an der ÖSF, DeSF, deren Interessen im Sternenflotten e.V. übereinstimmen.
Hier haben zwei Communitys erkannt, dass sie zusammen und in Kooperation und Partizipation stärker sind, als wenn sie alleine weiter existieren. Der Markt an Communitys im Web ist gesättigt, deswegen müssen neue Formen gefunden werden, wie Communitys über einen längeren Zeitraum bestehen können.
Im rl ist dieser Prozess recht ähnlich. Zwei Vereine schließen sich zusammen, zwei Firmen etc .. Ich betone noch mal absichtlich ähnlich ;)
Photon: Du hattest einmal erwähnt, dass du deine Tätigkeit in der ÖSF als ehrenamtliche Tätigkeit ansiehst. Hat sich hier an deiner Ansicht etwas geändert?
Jana: Ich habe seit einiger Zeit wahnsinnig viel zu tun. Mittlerweile weiß das fast jeder in der ÖSF und DeSF, so dass ich meistens doch etwas im Hintergrund arbeiten kann.
Dennoch fällt es mir schwer den Posten des CO’s abzugeben, weil ich auch gleichzeitig eine riesen Chance sehe.
Die Hierarchie ermöglicht mir viel leichter neue Kommunikationsformen einzuführen. In dieser Arbeit, die nicht wenig ist in meinem Verständnis, habe ich somit die Chance auf Einzelne so einzuwirken, wie wir Menschen der Zukunft brauchen. Das klingt jetzt sehr komisch, kann ich aber kürzer nicht anders formulieren. Deswegen investiere ich hier gerne Zeit und Energie rein.
Photon: So, zum Abschluss dann noch eine Frage: Du hast bereits in der ersten Frage Kommunikationsarten und jetzt wieder neue Kommunikationsformen erwähnt. Wie sieht also die Kommunikation (idealerweise?) in der Internetcommunity aus?
Jana: Die Frage zu beantworten ist wirklich schwer. Ich glaube nicht, dass es eine ideale Kommunikationsform in einer Community gibt. Es kommt immer auch auf die Menschen an, die sich in dieser Community tummeln.
Meine besten Erfahrungen habe ich mit offenen Plattformen gemacht. Die User sind aneinander gleichgestellt und haben ihr Ziel im Auge. Mit positiver und konstruktiver Kommunikation haben sie dieses Ziel in kürzester Zeit und beeindruckender Qualität erreicht.
Zu dieser Kommunikation tendiere ich. Allerdings kann ich nicht erwarten, dass sie ideale ist.
Photon: Dann danke ich dir für deine Zeit und Geduld mir all diese Fragen gewissenhaft und ausführlich zu beantworten.
erschienen in der Photon, (Vereinsmitteilungen des Sternenflotten e.V.) Ausgabe 2008
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weiterführende Links:
- Sternenflotten e.V.
Dienstag, 13. Mai 2008
Interview zu virtuellen Gemeinschaften
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