Das Instrument der teilnehmenden Beobachtung kennzeichnet eine wichtige Methode der klassischen Inhaltsanalyse. Mit der Entwicklung der Medien, besonders des Webs wandelt sich jedoch die Rolle des teilnehmenden Beobachters.
In der klassischen Anwendung einer Inhaltsanalyse, wie die eines Interviews oder einer Diskursanalyse, besteht der Zugang zum Forschungsfeld für den teilnehmenden Beobachter insbesondere aus einer ständigen Balancierung zwischen Nähe und Distanz. Ein Qualitätsmerkmal einer empirischen Arbeit, die sich der Inhaltsanalyse bedient, lässt sich aus großer Distanz und nur einem kleinen Grad an Involviertheit bestimmen.
Das Interview und die Diskursanalyse stellen zwei verschiedene Zugänge zur Inhaltsanalyse dar. In einem Interview wird der Befragte vom teilnehmenden Beobachter als Experte wahrgenommen. Er will lediglich menschliches Verhalten aus dem Erleben des Interviewten heraus verstehen. Latent vorliegendes Wissen wird erschlossen. Mit dem Abschluss des Interviews und der daran angebundenen Transkription setzt der teilnehmende Beobachter eine deutliche Grenze. Das Material verändert sich von nun an nicht mehr. Der Forscher ist über das einzelne Individuum in das Untersuchungsfeld eingetreten.
Eine ähnliche ausgeprägte Distanz kann der teilnehmende Beobachter in der Diskursforschung aufrecht erhalten. Der Unterschied zum Interview besteht darin, dass ein Diskurs seine Wirklichkeitskonstruktion gesellschaftlich verankert hat. Der teilnehmende Beobachter betritt von der Seite der kollektiven Konstruktion heraus das Untersuchungsfeld.
Individuelle und kollektive Wirklichkeitskonstruktionen kann der teilnehmende Beobachter ebenso im Web vorfinden.
Einen Versuch der Analyse von kollektiven Konstruktionen der Wirklichkeit in Communitys hat Winfried Marotzki unternommen. Er hat mithilfe der teilnehmenden Beobachtung gemeinsame Kategorien herausgebildet und somit die vorhandene Komplexität des Untersuchungsmaterials reduziert. Auch hier betritt der teilnehmende Beobachter von der Seite der kollektiven Konstruktion heraus das Untersuchungsfeld. Ein Vergleich zwischen klassischer Inhaltsanalyse und Online-Inhaltsanalyse ist deswegen gerechtfertigt.
Mit seiner Untersuchung über Weblogs hat sich Jan Schmidt dem Verstehen menschlichen Verhaltens im Web, speziell in Blogs angenähert. Er interessierte sich als teilnehmender Beobachter für die Motive des Führens oder Lesens eines Weblogs. Auf die besondere Spannung zwischen Flüchtigkeit und Permanenz geht er nicht weiter ein. Mit Hilfe von leitfadengestützten Interviews und einer Gruppendiskussion erschließt sich Jan Schmidt das Forschungsfeld. Auch diese Untersuchung besitzt wie ein Interview keine Repräsentativität im statistischen Sinne. Auch hier ist der Forscher über das einzelne Individuum in das Untersuchungsfeld eingetreten und aus diesem Grunde ist die Online-Inhaltsanalyse mit der Inhaltsanalyse eines klassischen Interviews zu vergleichen.
Der teilnehmende Beobachter im Web steht bei seinen Untersuchungen vor folgenden Schwierigkeiten. Er muss im Forschungsprozess selbst den geeigneten Zeitpunkt finden, wann er die Beobachtung abschließt. Im Web gestaltet sich der Abschluss schwieriger als in einem Interview oder einer Diskursanalyse, da sich die Inhalte ständig dynamisch ändern. Einerseits gehen ihm durch einen zu frühen Abbruch wichtige Erkenntnisse verloren, andererseits, beobachtet er das Forschungsfeld zu lange, wendet er wertvolle Ressourcen seiner Arbeitskraft auf, da keine zusätzlichen Erkenntnisse mehr hinzukommen.
Im Web entsteht eine nicht zu unterschätzende Unschärfe in der teilnehmenden Beobachtung. Einerseits verbinden alltägliche Handlungsweisen virtuelle und physikalische Räume. Dadurch wird unklar welche Präsenz des Forschers bei der teilnehmenden Beobachtung erforderlich ist.
Eine andere Unschärfe entsteht durch hochgradig interaktive Kommunikation im Web, speziell social networks. Dadurch kommt es während des Prozesses der Interaktion selbst schon zur Selbstreflexion.
Eine weitere Schwierigkeit sind geschlossene Netzwerke. Dynamische Interaktionen, wie sie zum Beispiel in einer Google–Anwendung zu beobachten sind, können erst durch aktive Teilnahme des Forschers beobachtet werden. Die Methode der teilnehmenden Beobachtung wird in diesem speziellen Punkt durch unmittelbare Interaktion vor einer großen Herausforderung gestellt. Aus diesem Grunde ist eine notwendige Transparenz der eigenen Perspektive und ständige Reflexion für den teilnehmenden Beobachter im Web von besonderer Wichtigkeit.
Quellen:
* Marotzki, Winfried (2003): Online-Ethnographie - Wege und Ergebnisse zur Forschung im Kulturraum Internet, erschienen im Jahrbuch für Medienpädagogik, Leske und Buderich
* Schmidt, Jan Weblogs (2006): Eine kommunikationssoziologische Studie, UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz