Dienstag, 20. Mai 2008

Plagiarismus 2.0

allgemeine Einführung in das Thema:

„Copy und Paste hier, unzitierte Übernahmen dort … Der Service- und Weltverbessergedanken der schönen neuen Web-Welt wird in einer Diskussion kritisch hinterfragt. "Das Google-Copy-Paste-Syndrom" nennt der Medienwissenschaftler Dr. Stefan Weber den drohenden Zerfall von Hirn und Verstand. Insbesondere in Bildung und Wissenschaft führt dies zu massiven Problemen.

Unter einem Plagiat wird dementsprechend die Herausgabe fremden geistigen Eigentums als das Eigene verstanden.

Diskussion:

Die Zusammenstellung eines kohärent wertvollen Textes aus bereits existierenden Einzelteilen wird als hochkomplexe Leistung verstanden. Der erste Schritt ist dabei das so genannte „copy-paste“. Die eigentliche Leistung wird in einem zweiten Schritt vollzogen, in der Redaktion und das In-Kohärenz bringen der einzelnen Texte. Die Komplexität vieler Texte wird auf den wesentlichen Kern der eigenen benötigten Aussage reduziert. Eine hochkomplexe Leistung liegt jedoch erst dann vor, wenn Informationen aus verschiedenen Texten herausgeholt werden, um diese dann zusammenzufassen und diese in einem neuen Text (mit Belegen) zu integrieren.

„copy & paste“ ist dabei ein erster notwendiger Schritt und die digitalen vorliegenden Texte sprechen eine willkommene Einladung aus.

Das „copy paste“ Syndrom ist nicht neu. Plagiate können in allen Epochen der Menschheit gefunden werden. So verwendete Bertolt Brecht in seiner Dreigroschenoper Verse von François Villon in der von K.L. Ammer ins Deutsche übertragenen Fassung. Brecht hielt sich natürlich zugute, dass er durch sein zitierend-plagiierendes Vorgehen die Verse Villons der Vergessenheit entrissen und ihren Wert damit erhöht habe. (Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 29. S. 57)

Da das Problem des Plagiats außer Vorwürfe zu äußern nur selten nachgegangen wird, wird von den Lehrenden gefordert, dass sie ihre Schüler und Studenten unterstützen, in der Entwicklung einer Methode für neue Texte. Der Arbeitsschritt von „copy & paste“ ist dabei in seiner Notwendigkeit zu erkennen und zu verstehen. Darauf aufbauend sollte das Verständnis von einem eigenständigen Text geschaffen werden.
Die Rolle des Lehrers wäre die der Unterstützung und Sensibilisierung. Wenn er sich selbst als „Polizist“ begreift, der ständig kontrollierend „über die Schulter des Lernenden sieht“ entwickeln sich statt Zutrauen und spielerische Neugier, Angst vor dem Versagen.


Darstellung zweier gegensätzlicher Standpunkte:
1. (Standpunkt, der das Zitieren bekräftigt):
Problematisch in der Diskussion ist der Begriff „copy & paste“, weil mit ihm negative Assoziationen geweckt werden. Umso mehr erscheint es wichtig bei der Fülle an Informationen, die täglich in das Netz gegeben werden, woher eine Information kommt. Diese Offenheit, woher eine Information genommen wird und welche Auswirkung diese auf die eigene Aussage hat, zeichnet sich durch Transparenz ab, durch die sich ein Mensch im „neuen Paradigma“ auszeichnen könnte. (Chrisp’s virtual comments: Der öffentliche Wissenschaftler) Zudem wird eine Vernetzung dargestellt, die das Web ausmacht. Wird jemand im Netz zitiert, erhält derjenige einen „Ping“ und wird wiederum selbst über den Trackback-Mechanismus referenziert. Web 2.0 – Netze entstehen gerade durch Referenzierung. Der Begriff, der diesen Gedanken versucht festzuhalten, nennt sich „information literacy“. Vertrauen und Ehrlichkeit werden mit dem Blogger, der diesen Anforderungen nachkommt, verbunden.


2. (Standpunkt, der den Sinn des Zitierens hinterfragt)

Andererseits kann auch die negative Assoziation „copy & paste“ in eine Provokation umgewandelt werden. Mit dem vermehrten Auftreten (im Web) von gemeinsamen Wissenskonstruktionen werden alte Muster der Wissensverwendung neu überdacht. Zitate bei kleinsten und trivialen Sätzen werden eingefordert, aber sind sie noch sonnvoll? Immer wieder wollen sich Wissenschaftler gerne zitiert sehen.
Wenn Gruppen gemeinsam eine Wissensbasis erarbeiten, wer ist dann zu erwähnen? Zudem kann es schwer werden im Web, das von überflutenden Informationen und ständig ändernden Inhalten geprägt ist, den Informationsgeber wieder zu finden. Rechtfertigt der Aufwand der Suche das Ergebnis?
Geschwindigkeit und Vernetzung, nach der Gehirnmetapher, stellen in der Gegenposition die kennzeichnenden Merkmale dar. Wobei Vernetzung in der Gegenposition mit Netzwerken in Form von Zusammenschlüssen und Zusammenarbeiten verstanden werden muss. Zitate sind vernachlässigbar sind dann mit folgender Begründung vernachlässigbar: Neurone zitieren keine anderen Neurone. Das würde zu lange dauern.

Beiden Positionen gemeinsam sind, dass der kollektive Anteil des Wissenerwerbs zunimmt. Ein Austausch von Wissen nützt dem Geber und Nehmer, wobei die Rollen auch unterschiedlich eingenommen werden. Zusätzliche Gedanken, bzw. Einwände anderer zwingen den Autor zum nachdenken und somit zum Lernen. Bestes Beispiel ist der Entstehungsprozess eines Wikipedia Artikels.

Gegensätzlich in beiden Positionen ist der Umgang mit Unschärfen.



Weiterführende Links:

- Zusammenfassung der Diskussion
- Chrisp’s virtual comments: Der öffentliche Wissenschaftler
- Chrisp’s virtual comments: Kooperatives Schreiben
- Chrisp’s virtual comments: Ein Plädoyer für eine wissenschaftsmündige Gesellschaft