Die letzten zwei, drei Tage werde ich geistig und körperlich immer unzurechnungsfähiger. Dabei bin ich froh, dass ich gestern, ohne nach übermäßig viel Luft zu japsen, die 114 m des Rathausturmes nach oben steigen konnte, ohne, auf die mir nachfolgenden JU'ler zurückzustürzen.
Den Schwitzanfall konnte ich unter der Jacke leicht verbergen und der kühle Wind auf der Turmspitze half mir beim Vertuschen irgendwelcher Schwächeanfälle.
Die Aussicht auf das abendliche Leipzig entschädigte zumindestens den Geist, der ja angeblich den Zustand des Körpers mitbestimmen sollte. Die untergehende Abendsonne umgarnte das unter uns liegende Leipzig noch ein letztes Mal an diesem Tage mit ihren wärmenden Schein, während auf der anderen Seite des Turmes, die Nacht unaufhaltsam ihr Terrain für die nächsten 12 Stunden auf ihren Machtanspruch vorbereitete. Zwischen diesen ewig anwährenden Fronten hatte sich der Regen dazwischen geschoben.
Wenn es einen „Gott“ gäbe, dann hat er mir gestern einen Teil seiner Schönheit offenbart.
Der Kampf zweier verhärteter Fronten, die sich nur in einem kurzen Augenblick der Dämmerung wagen, einander anzunähern, sich gegenseitig zu berühren, ja gar für einen Moment gleich zu sein, ist wie das Spiel der unterschiedlichen Parteien, das im Rathaus unter uns tobt. Nur den Zustand der Dämmerung, den konnte ich in ihrem anwährenden Machtkampf noch nicht entdecken.
Da mein Körper in gerade diesem Zeitabschnitt wieder nach Aufmerksamkeit schreit, versuche ich ihn damit zu beruhigen, dass seine vergangenen Entbehrungen zur Publikation meines in Kürze erscheinenden Buches diesen Erfolg erst möglich machten.
Er wird ruhiger, gar sanftmütig und ich beschließe, seinem Wunsch für heute Vorrang zu geben.